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Was ist Lernen im weiteren Sinne?

Alle individuellen Lebewesen benötigen ein vorgegebenes Basis-Verhaltensrepertoire welches sie auf Grund von äußeren oder inneren Reizen zu Verhaltensketten bzw Strategien angemessen zusammensetzen müssen, um erfolgreich benötigte Ressourcen zu allozieren und sich zu vermehren.
Das gilt von den Einzellern über die Fische bis hinauf zum Menschen.
Und natürlich ist Lernen nur eine spezielle Form der Verhaltensweisen eines Lebewesens und daher sehe ich bzgl. der Begriffs-/Überschriftenbildung Lernen bei "Fischen" die gleichen Vorbehalte, die ich bereits in der Einleitung unter "Fischverhalten" kundgetan habe!

Definition

1. Eine mehr oder weniger langfristige Änderung des Verhaltens eines Individuums auf Grund von Erfahrungen nenne ich mal "Erfahrungsgesteuerte Verhaltensänderung"

Prozesssystematische Änderungen des Verhaltens in Folge von Wachstum/Reifung, Alterung, Ermüdung und dergleichen gehören nicht hierher.

Geht man nun davon aus, dass Verhalten durch physikalische Strukturen ausgelöst wird wie Prozessoren (z.B. Neuronen) zusammen mit expliziten oder impliziten Daten-/Zustandsspeicherungen (z.B. neuronalen Verbindungen), dann setzt eine "Erfahrungsgesteuerte Verhaltensänderung" die Plastizität dieser Strukturen voraus.
Weil ich Informatiker bin und mir eigentlich egal ist, welcher Art diese physikalischen Strukturen sind, nenne ich ab jetzt diese physikalischen Strukturen, die Verhalten generieren, Programm.

Um also erfahrungsgesteuerte Verhaltensänderungen zu ermöglichen, benötigen wir ein plastisches Programm, also ein Programm, welches sich aufgrund innerer Zustände oder sensorischer Aktivitäten selbst umprogrammieren kann, also es könnte seine Struktur, seine Zustandsspeicher ändern, sich vergrößern (ausbauen) oder verkleinern (abbauen).
Das ist schon für traditionelle Programme der Informatik kein Hexenwerk für Programme die aus der parallelen Koopoperation vieler kleiner Prozessoren bestehen wie dies für die Neuronennetzte gilt, ist es aber eine Selbstverständlichkeit, die als geradzu automatisch mitgeliefert wird.
Die Plastizität des Verhaltensprogrammes ist also grundsätzlich erstmal bei allen Wirbeltieren also auch den Fischen freihaus mitgeliefert.

Wichtig hier ist aber, dass sich aus der Definition 1 die Plastizität des Programmes als Voraussetzung für Lernen nach Def. 1 zwingend ergibt.
Weil aber nunmal gilt, dass gleiche äußere Phänomene (gezeigtes Verhalten) durch beliebig viele unterschiedliche Programme generiert werden können ist es natürlich denkbar und wahrscheinlich, dass Programmänderungen auftreten können, die das gezeigte äußere Verhalten nicht ändern. Und weil, wenn ein Programm sich schonmal selbst umprogrammieren kann, es keinen zwingenden Grund gibt anzunehmen, dass diese Umprogrammierung nur auf Grund von Erfahrungen stattfinden kann, sondern genausogut auf Grund aktueller Programmzustände und -strukturen sollte man in die Defintion 1 die Änderung dieser Programmzustände und Programmstrukturen aufnehmen. Vor allem weil diese (inneren) Änderungen möglicherweise erst in weiterer Zukunft sich als Änderungen im (äußeren) Verhalten ausdrücken.

Damit wird die Definition dann besser geändert zu

2. Eine mehr oder weniger langfristige Änderung des Verhaltens oder der Struktur des verhaltengenerierenden Programmes eines Individuums auf Grund von Erfahrungen oder aktueller Programmstrukturen/-Zustände nenne ich mal "Erfahrungsgesteuerte Verhaltensänderung"

Es ist leicht, ein Programm zu bauen, welches die Eigenschaft der Plastizität erfüllt und es ist auch leicht, dieses Programm mit Eingabemöglichkeiten (Sensoren) für von außen kommende oder von innerhalb des Programmes kommende Signale (Zustände) auszustatten, die auf die plastischen Änderung Einfluss nehmen.
Es ist aber bei weitem nicht leicht, solch ein plastisches Programm so zu bauen, dass es innerhalb eines äußeren Umfeldes
1. in der Lage ist einen definierten Rahmen von Aufgaben zu erledigen und
2. seine eigene Umprogrammierung nicht so vorzunehmen, dass die Fähigkeit zur Durchführung des Aufgabenkataloges nicht verloren geht.

Jetzt komme ich dann zum eigentlichen Versuch der Definition des Lernens, denn niemand versteht ja unter Lernen einfach nur auf Grund von Erfahrungen sein Verhalten zu ändern.
Beispiel:
Ich renne dreimal mit 5km/h mit dem Kopf gegen die Wand.
Nun verändere ich auf Grund der damit verbundenen schmerzhaften Erfahrung mein Verhalten:

  1. Ich stell mich auf dem Kopf und bleibe Zeit meines Lebens so stehen.
  2. Ich erhöhe meine Geschwindigkeit und renne weiter mit dem Kopf gegen die Wand bis dass er, der Kopf, bricht.
  3. Ich renne mit dem Kopf etwas weiter rechts gegen den Fliegenvorhang, kann ihn schmerzfrei durchdringen und befinde mich wie beabsichtigt außerhalb des Raumes.

Gelernt habe ich eigentlich nur im 3. Fall, nämlich "Diese Stelle ist undurchstoßbar, versuche eine andere Stelle".
Es kommt also beim Lernen nicht nur auf eine irgendwie geartete Änderung des Verhaltensprogrammes an, sondern darauf den Zweck der ursprünglichen Handlung besser zu erreichen.
Damit kommt jetzt die eigentliche allgemeine Definition des Lernens:

3. Lernen ist eine mehr oder weniger langfristige Änderung des Verhaltens oder des verhaltengenerierenden Programmes eines Individuums auf Grund von (äußeren) Erfahrungen oder (innerer) Programmzustände/-strukturen, so dass die Aufgabe des ursprünglichen Verhaltens oder eine übergeordnete Aufgabe durch das geänderte Verhalten wahrscheinlich besser erfüllt werden kann."
{"Änderung des Verhaltens" umfasst natürlich eine Abwandlung vorhandener Verhaltenselemente genaus wie z.B. eine Erweiterung des Verhaltensrepertoires}

Diese Defintion umfasst jetzt nicht nur Lernvorgänge wie eine klassische Konditionierung, die unmittelbar sich in einer äußeren Verhaltensänderung manifestiert, sondern auch Lernvorgänge die sich in einem "Modellraum" abspielen, bei denen also Programmstrukturen/-Zustände als "Erfahrung" zur weiteren Umprogrammierung dienen, die dann irgendwann sich wieder in geändertem äußeren Verhalten niederschlagen.

Wir haben jetzt also die relativ neutrale und ziellose Definition "Erfahrungsgesteuerte Verhaltensänderung" angereichert um eine Wertung/Filterung der Verhaltensänderung. Die gelernte Verhaltensänderung sollte nämlich schlicht sinnvoll sein.
Jetzt ist das Programm aber schon nicht mehr so trivial, denn es muss nicht einfach nur plastisch sein, es muss zumindest eine Trägheit gegen Veränderungen in Richtungen besitzen die mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Verschlechterung statt einer Verbesserung der Aufgabenerfüllung bewirken würden und optimaler Weise eine Förderung von Änderungen die mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Verbesserung der Aufgabenerfüllung bewirken.

Das ist leicht gesagt, es bedeutet aber, dass diese Wertungen/Filterungen schon in das Programm eingebaut sein müssen, bevor es lernende Veränderungen durchführen kann!

Prinzipielle Lernfähigkeit von Fischen

Wie passt nun der "Fisch" zu dieser Definition von Lernen?

Was braucht er?

Ein plastisches Programm!
Fische sind mit einem Zentralnervensystem ausgestattet wie alle Wirbeltiere welches grundsätzlich plastisch ist.

(Obige Definition des Lernens erzwingt übrigens kein Zentralnervensystem! nur eine irgendwie geartete physikalische Struktur, die zur Informationsverarbeitung fähig ist)

Dem Programm müssen Erfolgswertungen eingebaut sein können, die sicherstellen, dass mit ausreichender Wahrscheinlichkeit sinnvolle Programmänderungen auf Grund von Erfahrungen umgesetzt werden.
Über den Prozess der Evolution sind Fische wie alle anderen Lebewesen auch mit einem genetischen Programm ausgestattet, welches den Körper und damit auch das Zentralnervensystem in einem rekursiven Entwicklungs-/Wachstumsprozess aufbaut.
Dieses genetische Programm stellt damit (nicht bijektiv!) das initiale Verhaltensprogramm her und kann so über den Mechanismus der Evolution auch die "Lehrmeister", die Wertungen/Filter in dieses Programm (Nervensystem, Sensoren, Motorik, Morphologie) initial hineinbauen.

Den "Fischen" ist also, nicht anders wie auch den Säugetieren, potentiell alles verfügbar, um in den einzelnen Arten vom einfachsten bis zum komplexesten Lernmuster zu realisieren, was eben von ihnen in den jeweiligen Lebensräumen abverlangt wird.
Es gibt also aus dieser Sicht nichts in einem "Fisch" eingebautes, aus dem man sinnvoll annehmen könnte, "Fische" könnten nur relativ einfache Lernvorgänge realisieren, wie verbreitet angenommen wird. Erst recht widerlegt sich diese irrationale Annahme, durch das Beispiel der Säugetiere, die ja eben ein auf Land umgezogener Fischsonderling sind und es trotz ihres Fischseins Smile in einigen Arten zu beachtlichen Lernleistungen gebracht haben.

Und eben darum wird es nun in diesem Verhaltensunterkapitel gehen:
Um die Vielfalt der Lernleistungen der mehr oder weniger im Wasser gebliebenen Fische und um die Tatsache, dass diese denen der auf Land gezogenen Fische, den Landwirbeltieren, nicht grundsätzlich nachsteht!
Also darum, dass für "Fisch" eben nicht das weit verbreitete Vorurteil wahr ist: "Lernen spielt bei Fischen in der Ausprägung und der Entwicklung von Verhalten nur eine kleine bis gar keine Rolle." denn wie oben erklärt, gibt es 1. nichts, was diese prinzipielle Annahme rational begründen könnte und 2. gibt es keine wissenschaftlichen Belege für eine solche Behauptung, sondern maximal unter dem Einfluss dieses Vorurteils nicht gemachte Untersuchungen oder eingeschränkte Fragestellungen, die nicht geeignet waren, das liebgewordene Vorurteil zu relativieren.

Diese wissenschaftliche Selbstbeschränkung hat sich aber in neuerer Zeit unter dem Einfluss der Fusion von "Vergleichender Psychologie", Verhaltensökologie, Verhaltensforschung(Ethologie) und Informatik zur Kognitionswissenschaft immer mehr aufgelöst mit der Folge, dass nun auch für "Fisch" über adäquatere wissenschaftliche Fragestellungen immer mehr Belege zusammenkommen die zeigen, dass Fische nicht anders als Landwirbeltiere ein reichhaltiges anspruchsvolles Repertoire an Verhaltensmöglichkeiten entwickelt haben und dass Lernen in der individuellen Entwicklung des Verhaltens eine der wesentlichsten Rollen spielt.
Der "Fisch" ist also genausowenig nur ein instinktgesteuerter Automat mit im Wesentlichen einfachen, dressurähnlichen Lernfähigkeiten (z.B. EEAM- durch Erfahrung angepasster angeborrener Auslösemechanismus) wie das Landwirbeltier.

Kommentare

Sind Fische im Wesentlichen Instinktautomaten?

Ein Video/Artikel zur Relativierung:
http://www.scienceticker.info/2011/06/28/fisch-nutzt-amboss/

Auch in folgendem Video ein Lippfisch bei solcher Aktion:
Er gräbt zuerst mit Hilfe einer Brustflosse (rechte) eine Schnecke aus,
trägt sie dann eine längere Strecke zu geeigneten Felsen und öffnet sie dort
durch schlagen/werfen gegen den Stein.
Film von Giacomo Bernardi, ucsc.edu

Pfiffige Süßwasserrochen:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/1119185/

Hirngröße und Hirnleistungsfähigkeit nicht immer proportional

Was für einen Informatiker ausgedrückt als "Programmgröße und Programmleistungsfähigkeit" ausgedrückt trivial ist,
nämlich dass sie sich nicht proportional verhalten müssen,
ist nicht immer als trivial erkannt, wenn man die Sprache der Biologie nimmt.

daher braucht es solche Aussagen über/in aktuelle Studien wie "Die aktuelle Studie lege jedoch nahe, dass genetische Verwandtschaftsverhältnisse und die Größe des Gehirns bei der Entwicklung der Denkfähigkeit eine weniger wichtige Rolle spielen, als bislang gedacht." in https://wissenschaftundschreie.wordpress.com/2012/06/16/paviane-und-menschenaffen-aehnlich-intelligent/
zur Studie:
http://www.plosone.org/article/info:doi/10.1371/journal.pone.0032024;jsessionid=8A98123711308CA83647BCA394378302.




Ich weiß, sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser. {nach Heinrich Heine, Wintermärchen}