Lernen ist im Kern ein Verhaltenskonzept, welches dafür sorgt, dass ein Lebewesen sich besser an seinem Lebensraum anpasst in dem Sinne, dass es besser für die Verbreitung seiner Gene im Genpool sorgen kann.
Aber genau das bewirkt ja auch bereits der Prozess der Evolution.
Stellt sich also die Frage, warum dann noch zusätzlich lernen?
Es ist eine Frage der Frequenz in dem vereinfachten Zyklus von "Erfahrung sammeln" - Bewerten - Anpassung.
Die Evolution (der Prozess der genet. Evolution) benötigt hier eine Generation pro Zyklus und kann dabei nur kleine Programmänderungen vornehmen.
Sie kann also nur auf Umfeldänderungen anpassend reagieren, die über wenigstens ein paar Generationen relativ stabil bleiben.
Sie kann einen Genpool somit nur an relativ abstrakte, allgemeine, eben in ihrer Abstraktheit über einige Generationen stabile Änderungen des Umfeldes anpassen.
Ist ein Organismus - oder besser Genpool - aber vermehrungsrelevanten Umgebungsmerkmalen ausgesetzt, die sich von Generation zu Generation (bzw. innerhalb nur weniger Generationen) ändern oder gar noch schneller, dann ist der Adaptionsprozess der Evolution gegen diese blind, d.h. er kann nicht genauso schnell das genetische Programm ändern.
Was er aber kann ist, die Klasse dieser schnellen Änderungen abstrahieren indem er ein genetisches Programm aufbaut, welches ein lernfähiges Nervensystem erstellt, dem dieser Klasse entsprechende "Lehrmeister" eingebaut sind. Die Lehrmeister und die dem Nervensystem eingebaute Plastizität stellen dann die abstrahierte Anpassung an diese schnellen Änderungen dar, die die Evolution ins genetische Programm schreibt. Ein so ausgestatteter Organismus hätte gegen einen Organismus, der mit einem starren Verhaltensprogramm auf einer abstrakteren, gröberen Adaptionsebene arbeitet, klare Vorteile und würde sich in Konkurrenz gegen diesen durchsetzen, weil er durch seine Lernmöglichkeit sich individuell besser an die Bedingungen aus den schnellen Umfeldänderungen anpassen kann.
Deswegen kann man erwarten,
dass Lernen von der Evolution immer dann herausgebildet wird, wenn genau solche schnellen Umfeldänderungen vermehrungsrelevant für einen Genpool werden.
Da "schnell" hier ein relativer Begriff zur Generationsfolge ist, sollte man bei Lebewesen mit schneller Generationsfolge weniger Lernfähigkeit erwarten als bei Lebewesen mit langsamerer Generationsfolge.
Um es an Extremwerten deutlich zu machen:
Für einen Einzeller mit einminütiger Generationenfolge sollte Lernfähigkeit also keinen besonderen Selektionsvorteil bringen, während für einen Nager mit einjähriger Generationsfolge ein weniger komplexes Lernsystem herausgebildet werden sollte als für z.B. einen Elefanten mit einer vieljährigen Generationsfolge.
Umgekehrt natürlich auch:
In stabileren Lebensräumen sollte der Selektionsdruck zum herausbilden von Lernverhalten geringer sein als in hektisch instabilen Lebensräumen (Zur Umwelt eines Organismus gehören natürlich auch andere Lebewesen, insbesondere die seines eigenen Genpools!).
Lernverhalten dürfte also in vielen Situation einen Selektionsvorteil bringen und man kann damit erwarten, dass sie von der Evolution relativ verbreitet auf unterschiedichsten Wegen quer durch die Welt der Tiere herausgebildet wurde.
Fische haben nahezu alle aquatischen Lebensräume erobert - und teilweise auch darüber hinaus -, es gibt Arten mit extrem kurzen Generationsfolgen und Arten mit vieljährigen Generationsfolgen. Sie bewohnen sehr stabile aber genauso extrem unstabile Lebensräume.
Es ist also erwartbar, dass dann in den unterschiedlichen Arten auch ein entsprechend weitspannendes Lernverhalten herausgebildet sein sollte.
Und wenn man genau hinschaut stellt man dann diesen rationalen Erwartungen entsprechend auch fest, dass manche Fischarten sich bzgl. ihrer Lernfähigkeit mit einzelnen Primatenarten durchaus vergleichen können!
Aussagen wie: Fische sind nur zu einfachem, dressurähnlichem Lernverhalten fähig und im Verhalten vorwiegend genetisch determiniert" sind also
- rational unbegründbar,
- bei genauem unvoreingenommenem Hinsehen leicht als falsch zu erkennen
- und in wissenschaftlicher Literatur längst widerlegt
So hat sich inzwischen z.B. gezeigt, dass es Fischarten gibt, die
- kompexe kulturelle Traditionen entwickeln
- sich individuell erkennen
- Machiavellische Strategien verfolgen (Machiavellische Intelligenz)
- aus der Beobachtung des sozialen Prestiges anderer Gruppenmitglieder individuellen Nutzen ziehen
- usw.
Beispiele und Referenzen werde ich dann bei den jeweiligen Lernmustern zitieren.
Kommentare
Blindheit des Evolutionsprozesses gegen schnelle Änderungen
Warum müsste der Evolutionsprozess "blind" gegen Umweltänderungen mit Geschwindigkeiten im Bereich des Generationswechseltempos sein?
Man kann die Umweltänderungen als ein Signal betrachten und die Generationenwechselfrequenz - also wieviel Generationen pro Zeiteinheit - als die Abtastrate (Sample-Rate) eines Messverfahrens betrachten, welches versucht, das Signal "Umweltänderungen" auszumessen, zu reproduzieren, anzunähern.
Mit diesem Perspektivwechsel wird dann klar, dass das Abtasttheorem der Informationstheorie bzw. Signalverarbeitung auf diesen Prozess zutreffen sollte,
welches besagt, dass die Abtastfrequenz mindestens doppelt so schnell sein sollte wie etwa die schnellste Frequenz das zu erkennenden Signals.
Also nur Umweltänderungen, die wenigstens über 2 Generationen relativ stabil bleiben, können durch die generationenweise Abtastrate des Evolutionsprozesses ausreichend brauchbar reproduziert (prognostiziert) werden. Umweltbedingungen, die schneller wechseln, also dicht an den Zeitbedarf zweier Generationen heranreichen oder diese sogar unterschreiten, erscheinen für den Prozess der genetischen Evolution bzw. für einen Prozess mit generationsweiser Hypothesenbildung und -testung als zufällig und damit nicht prognostizierbar.
Daher ist der Prozess der genetischen Evolution insoweit er Wissen über die Umwelt genetisch fixiert blind gegen derart schnelle Umweltänderungen.
Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist, statt Wissen (Umweltprognosen) genetisch zu fixieren, was ja in diesen Fällen prinzipiell nicht geht, eine ganz andere Prognose genetisch festzulegen, nämlich die, dass auf bestimmte Weisen nützliche Prognosen über kurzfriste Änderungen gewonnen werden werden können: Durch individuelles Lernen.
Der genet. Evolutionsprozess legt dabei also die Prognose in den Genen ab,
dass
1. individuell gelernt werden kann und
2. wie bestimmte wichtige Umwelteigenschaften aus dem schnellebigen Merkmalsbereich erlernt werden können (prognostizierbar werden).
Damit hätte dann die Evolution für den zeitlich globalen Suchraum (längerfristig stabile Umweltmerkmale) den Prozess der genetischen Evolution als Such- bzw. Optimierungsverfahren zur Verfügung
und für die zeitlich lokale Suche/Optimierung (Umweltmerkmale, die nicht länger als eine Genration stabil bleiben) das individuelle Lernen.
Für Umweltmerkmale, die nur stabil bleiben in dem Übergangsbereich von etwa einer Genartion bis wenige Generationen, böte sich dann eine Vererbung des individuell gelernten über die Generationen hinweg an, womit das kulturelle Lernen ins Spiel käme.
Wie könnte ein Baum ohne Lernen auskommen?
Lernen ist bei Bäumen nicht so das übliche.
Wie machen sie das also, wie kommen sie mit den Umweltänderungen innerhalb der individuellen Lebenszeit zurecht?
Ich denke, indem sie sich einfach von diesen schnellen Änderungen unabhängig gemacht haben, indem der Evolutionsprozess das Überleben ihrer Keimbahn unabhängig von diesen "kurzfristigen" Änderungen gemacht hat. Sie "schwimmen" mit ihrer Ausstattung auf den langsamen Umweltänderungen, also auf denen, die bei einer beispielhaften Lebenszeit eines Baumes von 1000 Jahren nur in einem Mehrfachen dieser 1000 Jahre ablaufen. Sie abstrahieren ihr in den Genen abgelegtes Modell der Umwelt durch eine große Toleranzbreite. Statt z.B. das Eintreffen eines Sturmes zeitlich prognostizieren zu müssen, um rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen, bilden sie schlicht einen dicken und ausreichend elastischen Stamm aus, so dass egal wann genau ein Sturm eintrifft sie dieses Ereignis individuell vernachlässigen können.
(Aber eine beschränkte Art von Lernen findet in der Baumstruktur wohl doch statt: Wird er häufiger von Stürmen geplagt, so wird der Stamm widerstandfähiger.)