Wissenschaft ist der Glaube an die Unwissenheit der Experten. {Richard Feynman}
Unter geschlechtlicher Festlegung (Determination) versteht man den Prozess, welcher in Lebewesengruppen mit geschlechtlicher Vermehrung (Eukaryoten) die Funktion eines Individuums in einem Bereich von weiblich über zwittrig bis männlich festlegt. Die Festlegung drückt sich aus in der Ausbildung funktionaler Körper- und Verhaltensstrukturen und kann endgültig, einmalig temporär bis wiederholt temporär sein.
Kontrolliert bzw. gesteuert wird dieser Prozess in einer Mischung aus genetisch-zellulären und Umweltfaktoren (inklusive sozialer Faktoren in einer interagierenden Gemeinschaft, so z.B. beim Paradiesfisch f1, 1).
Einige der bereits identifizierten Systeme werden in folgender Übersicht dargestellt2.
In dem Bereich der "rein"f2 genetischen Determinationssysteme ist der intensivst erforschte Modus die dual-chromosomale Geschlechtsdetermination, wie sie beispielsweise in der Untergruppe der Landwirbeltiere bei den Vögeln und Säugern vorkommt, zu denen - diesen Fokus erklärend - auch die Gruppe der Menschen gehört.
Hier wird das Geschlecht durch ein klar differenziertes Paar Geschlechtschromosomen (Gonosomen) zwischen Männlichem und Weiblichem Grundtyp als genetische Anlage während der Befruchtung vorbestimmt, während Umweltfaktoren in obigem weiteren Sinne normalerweise keinen systematischen Einfluss auf die Differenzierung nehmen.
Das Grundprinzip läuft über die Zusammenstellung der zwei möglichen Gonosomen, nennen wir sie W und M für Weiblichfaktor und Männlichfaktor:
Folgende grundsätzlichen Gruppierungen sind dabei möglich:
s1) homozygot:WW, hemizygot:WM und
s2) hemizygot:MW, homozygot:MM
wobei der Doppelfaktor (homozygot) das jeweilige "Haupt"-Geschlecht festlegt,
also WW legt auf Weibchen fest, womit WM das Männchen festlegt
bzw.
MM legt das Männchen fest und MW das Weibchen.
Das erste System (s1) ist z.B. von der Untergruppe der Säugertiere ausgeprägt,
während das zweite so logisch mögliche System (s2) die Vögel verwenden.
Bei den Säugern nennt man die entsprechenden Chromosomen W=X,M=Y, also XX-weiblich, XY-männlich;
bei den Vögeln W=W, M=Z, also ZW-weiblich, ZZ-männlich.
Da sowohl Säuger als auch Vögel nur Teilgruppen der großen Gruppe der Fische im weiteren Sinne sind überrascht es nicht,
dass beide Systeme (s1) wie auch (s2)
natürlich auch in der großen Restgruppe, also den Knochenkiefermäulern (Fische im weiteren Sinne ) ohne Landwirbeltiere vorkommen.
Dort gibt es sogar Beispiele in denen (s1) und (s2) in der selben Art genutzt werden, wie z.B. bei Xiphophorus maculatus. Im Allgemeinen gilt jedoch, dass Determinationssysteme über spezialisierte Geschlechtschromosomen unter den Fischen nur gering verbreitet sind. Unter den bisher daraufhin genauer untersuchten etwa 1700 Fischarten fanden sich solche System nur bei rund 10%f3.
Ein wichtiges Kennzeichen eines solchen Systems ist, dass das Geschlechtsverhältnis unter den Nachkommen relativ stabil istf4
und nicht durch Selektion Linien erzeugt werden können, die ein zuchtlinienspezifisches Verhältnis auszeichnet, welches signifikant von dem der anderen Linien abweicht.
Außer dem obigen dualen System kennt man noch Systeme, die über das Verhältnis von X-Chromosomen zu Zahl der Autosomen (Nicht-Geschlechtschromosomen) das Geschlecht bestimmen oder Systeme, die über die Heterozygotie eines einzigen Locus arbeiten (Komplementäre Geschlechtsdetermination wie z.B. in der Insektengruppe der Hymenoptera bekannt).
Bei diesem Typ der genetischen Festlegung existieren keine spezialisierten Geschlechtschromosomen (Gonosom). Die an der Festlegung beteiligten Gene sind stattdessen über das gesamte Genom verteilt und die letztliche Entscheidung des individuell ausgeprägten Geschlechts entsteht aus einer Art Summe über die Wirkungen der jeweiligen Allele.
Ein Merkmal dieses Determinationssystems ist, dass das Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Nachkommen sich nicht typischerweise um 50/50 bewegen muss, sondern davon deutlich abweichen kann und der aktuellen Selektion unterliegt. Es ist dann grundsätzlich möglich, innerhalb einer Linienzucht linientypische Geschlechtsverhältnisse zu erzeugen, die unter analogen Haltungsbedingungen stabil sind sich aber von Linie zu Linie erkennbar unterscheiden. Solche Systeme konnten z.B. in einigen Buntbarscharten des Malawi-Sees nachgewiesen werden.
Außer den genetisch determinierenden Systemen existieren auch Systeme, bei denen Merkmale der Umgebung, des Lebensraumes inkl. der sozialen Umgebung für die Ausbildung eines funktionalen Geschlechts maßgeblich sind.
Bekannte Einflussgrößen sind z.B. der soziale Status (Bsp. Paradiesfisch1, f1, ph-Werte z.B. beim Spitzmaulkärpfling, Klima, Verfügbarkeit von Nahrung, ...
Auffällig ist, dass in taxonomischen Gruppen, in denen die umgebungsgetriebene Geschlechtsdetermination (ESD) auftritt, Systeme mit Geschlechtschromosomen sehr selten vertreten sind. Unabhängig davon sind Systeme mit regelrechten Geschlechtschromosomen mit etwa 10% sowieso ziemlich geringzahlig bei Fischen.
Bei z.B. den Gabelschwanzmakropoden (Macropodus opercularis) starten alle Individuen als Weibchen und differenzieren später evtl. zu Männchenf1. Diese Enddifferenzierung geschieht vor der ersten Paarung und könnte eine direkte Auswirkung sozialer Interaktionen sein. Dominante Tiere entwickeln sich zu Männchen, untergeordnete zu Weibchen3.
R. C. Francis erhielt so z.B. als unerwarteten überraschenden Nebeneffekt M. opercularis (Black Stream)-Linien - wahrscheinlich also eigentlich Macropodus spechti -, die nur aus Männchen bestanden. Er wollte experimentell Fragestellungen zum sozialen antagonistischen Verhalten in dieser Art untersuchen und züchtete dazu gezielt eine Linie auf Dominanz in sozialen Interaktionen. Diese Linie endete zu seiner Überraschung irgendwann in einer reinen Männchenlinie. Die Tiere waren derart dominant in ihrem Verhalten, dass quasi jede soziale Interaktion den Schalter für Männchen-Determination kippte.
Abschweif:
Nur weil der Evolutionsprozess mit großen Wiederholungszahlen arbeitet (gleichzeitig oder nacheinander) ist ein solches statistisch justiertes Merkmal überhaupt über diesen Prozess justierbar. Der Evolutionsprozess ist im Kern ein statistisch arbeitender Prozess, für den infolgedessen grundsätzlich gilt: Je kleiner die Versuchszahl n ist, je anfälliger ist der Prozess für nicht adaptierende vollkommen zufällige Ereignisse, was sich in den durch die Biologie auf höherer bzw. abstrakterer Ebene beschriebenen Phänomenen/Regelhaftigkeiten wie Gründereffekt, Drift aber auch die erkannte größere Gefährdung kleiner Populationen ausdrückt.
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